Anna Jermolaewa

Trying to Survive, Video, 3 min., 2000

video

Trying to Survive
Trying to Survive
Trying to Survive
Trying to Survive
Trying to Survive
Trying to Survive
Installationsansicht: "Non-places", Frankfurter Kunstverein, 2002
Trying to Survive
Installationsansicht: "Non-places", Frankfurter Kunstverein, 2002

Die redundanten Bewegungen der Spielzeugwesen, die in verschiedenen Videos von Jermolaewa auftreten, laufen jedoch immer wieder systematisch ins Leere. In „3 ´überlebensversuche“ sind es vierzehn gleichförmige Stehaufmännchen, die erst in sorgsamer Reihung aufgestellt sind, dann aber durch eine externe Kraft in Bewegung geraten und diese nicht mehr stoppen können. Mit steigender Geschwindigkeit pendeln sie hin und her, fallen schließlich auf dem Bildrahmen heraus und stürzen laut krachend ins Off. Dieses Sich-Verlieren über die Ränder hinaus betrifft nicht nur formale Ebene, sondern auch die inhaltliche, da das destruktive Moment selbst unsichtbar bleibt. Das Geräusch des Aufpralls verleiht dem Plastikspielzeug allerdings eine eigenartig körperliche Realität. Als scheinbar spielerische Versuchsanordnung verorten die dreiminütigen überlebensversuche so nicht nur die Determination des Einzelnen im jeweiligen System, sondern zeigen auch seine daraus resultierende Verwundbarkeit. Hier ist es das kollektive Ausgesetztsein an eine äußere, nicht steuerbare Kraft, die alle Puppen binnen kurzer Zeit stürzen lässt. Der Wille zum überleben bleibt dennoch ungebrochen – schon einen Moment später stehen die Figuren wieder da wie zuvor.
Die Kontrollgesellschaft mit ihrem überwachenden Blick und ihrem autoritären Machtanspruch ist längst abgelöst worden von etwas, das Michel Foucault als “Gouvernementalität“ bezeichnet hat: Unternehmerische Selbstdisziplinierung, Selbstmarketing und soziale Verantwortung des Einzelnen in subtiler Vermischung mit staatlichen und globalen Steuerungsprozessen. Diese neue Form des Funktionierens innerhalb eines Systems beschreibt eine für die heutige Gesellschaft charakteristische Mentalität, die zwischen Menschenführungen und verinnerlichten „Technologien des Selbst“ für Effizienz und flexible Anpassung an sich ändernde Umstände sorgt.
Das Moment der Fremdkontrolle greift meist auf unpersönliche technische Instanzen zurück, die Selbstbeherrschung hingegen liefert das psychologische Fundament moderner Problembewältigung. Anna Jermolaewa unterläuft in ihren Videos diesen Anspruch des perfekten Funktionierens und zeigt den unliebsamen Absturz, wenn das allzu Konforme den Halt verliert und selbst die anspruchslose Stehauf-Mentalität für einen Moment versagt.

Anna Jermolaewa, Non-Places, Frankfurter Kunstverein, Ausst Katalog, 2002. Autorin: Vanessa Joan Müller

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...Auch in der Videoarbeit 3' überlebensversuche spielen die Frontalität des Bildes, die Beschränkung der Themenwahl auf ein zentrales Motiv und deren Wiederholung eine wichtige Rolle für die geistige Umleitung auf das Dahinterliegende. Vierzehn Stehaufmännchen geraten darin durch eine unbekannte Kraft in Bewegung und können diese nicht mehr stoppen. Mit steigender Bewegungsgeschwindigkeit fallen sie ins Unbekannte und verschwinden, begleitet von lauten Knallgeräuschen. Stehaufmännchen sind nicht nur Spielzeuge für Kinder, sondern fungieren auch als Symbol für das Vermögen von Problemverarbeitungen von Individuen. Was auch geschieht - ein Stehaufmännchen läßt sich durch nichts umwerfen und steht immer wieder auf, um nochmals von vorne zu beginnen. Das Video nimmt jene Eigenschaftmittels Loop-Verfahren wörtlich. Das eindringliche, beinahe schußartige Aufprallen der Figuren abseits des Sichtbaren geht "unter die Haut" und wird physisch wahrgenommen. Die Puppe als verkleinerte Repräsentantin des Menschen rührt an Körperliches und schafft ein Vergleichsbild für das Agieren innerhalb sozialer Kontexte.

Sabine Schaschl, Never stop the action in: Catalogue: Living and working in vienna, Kunsthalle Vienna, 2000/2001

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So, too, in the video work 3' Survival Attempts the frontal view of the images, the reduction of the selection of topics to just one central motif and its repetition are factors that play an important role in the mental re-channeling towards what lies behind the given image. Fourteen 'stand-up men' start to move about by means of an unknown power and can no longer be stopped. With ever increasing speed they drop directly into the unknown and disappear accompanied by the loud noise of explosions. 'Stand-up men' are not merely toys for children; they symbolise the capacity of the individuell to cope with problems. Whatever happens - a 'stand-up man' cannot be bowled over by anything and will always get up again, to start from scratch. The video takes up this motif in a literal sense by means of a loop procedure. The intense, almost shot-like banging together of the figures beyond the line of visibility does get 'under one's skin' and is physically perceived. The dolls as size-reduced representatives of human beings imitate the physical sphere and create an image for comparison of human actions within social contexts.

Sabine Schaschl, Never stop the action in: Catalogue: Living and working in vienna, Kunsthalle Vienna, 2000/2001